Daria Wendland

ABGEFAHREN - Installation aus Metallrädern - 400 x 250 x 200 cm

Rezension des Kunsthistorikers Dr. Thomas Girst


Es dreht sich alles um die Räder selbst wenn diese sich nicht mehr drehen. Jedes von ihnen hat den Kreislauf seiner raison d’être

längst verlassen. Die Luft ist raus. Die Reifen sind abgefahren, Fundstücke von Schrottplätzen, Wertloses, von Fahrradhändlern

der Künstlerin bereitwillig überlassen.

Abgefahren (2011/2012) hat Daria Wendland ihre monumentale Skulptur betitelt und wortspielerisch markiert „abgefahren“ auch einen

Abschied – und wer fährt, der verharrt nicht, der bleibt in Bewegung und steht eben nicht still. Im übertragenen Sinne verweist der Titel

zudem auf das genaue Gegenteil von abgenutzt, demonstriert Vitalität wo Verfall sein sollte. Es gibt ein Leben nach dem Tod,

raunt uns das Werk verheißungsvoll zu, es kann eine Bestimmung geben nach dem zweckgebundenen Dasein im Hamsterrad.

Mit viel Humor jongliert Daria Wendland wie schon zuvor mit Ihrer Radskulptur Radar (2010) zwischen Readymade und objet trouvé.

Vor Schönheit hat sie keine Scheu, ästhetisch reflektiert sie das Reflektieren der Speichen. Aus Schrott wird Poesie, werden „kostbare Schätze und wertvolle Industriekonstruktionen“, wie die Künstlerin sagt. Sie könne auch neue Räder verwenden, „aber wozu neue Lauf-

räder kaufen, wenn die alten noch ideal, perfekt und in großer Menge kostenlos vorhanden sind? Ich möchte der Verschwendung und

dem stupiden Wegwerfmechanismus entgegenwirken.“ So formuliert Abgefahren gleichfalls eine Utopie, von einem Leben ohne Abfall,

von steter Wiederverwendung und damit auch von „ewiger Lebendigkeit ohne Tod.“ Mit dem ausgewählten Objekt weiß sich Daria Wendland dabei in bester Gesellschaft: von Duchamps skulpturalem FahrradRad (1913) zu Ai WeiWeis Installation Forever Bicycles (2011)

mit über 1000 Fahrrädern. Die Künstlerin dreht weiter dran, am Jahrhundert des Fahrrads in der Kunst – und dem Betrachter tun sich

schier unendliche Möglichkeiten an Blickwinkeln auf.

ABGEFAHREN - Installation aus Fahrradrädern - 430 x 290 x 220 cm

Rezension des Kunsthistorikers Jochen Meister


Filigran und flächig ordnen sich 19 zentrierte Kreise zu einem großen Gebilde

um einen Mittelpunkt, der an einer schlanken, mit einem Sockel versehenen

Stahlstütze befestigt ist. Unverkennbar handelt es sich um Fahrradräder,

aus Naben, Speichen und Felgen bestehend, die ohne eine Hilfskonstruktion zusammengefügt sind. Es wirkt, als wären sie wie eine Blüte am Stiel gewach-sen, doch zugleich ist ihr metallischer Glanz, sind die verschiedenen Naben

ein eindeutiger Verweis ins Reich der Technik. Die Kreise sind so angeordnet, dass das gesamte Gebilde den Umriss eines Sechsecks hat, von dem 2 Seiten parallel zum Boden und zur Decke des Raumes verlaufen. Das Sechseck hat einen Rhythmus von 3 zu 4 zu 5 zu 4 zu 3 Kreisen, von allen Seiten aus gleich

– es hat die rationale Gliederung einer geometrischen Figur. Durch die einheit-liche Größe des Umfangs jedes Kreises, der dem Standardmaß normaler Fahrradreifen von 28 Zoll entspricht, ergibt sich die Symmetrie.

Um das mittlere Rad legen sich 6, um diesen inneren Kreis wiederum 12 Zirkel, alle haben sie durch die Nabe eine exakte Mitte und durch die Speichen ein filigranes, radiales System, welches Zentrum Durchmesser und Umfang verbindet. Vielleicht beginnt man, die Schönheit und technische Perfektion

eines einfachen Fahrradrades wahrzunehmen. Ganz gewöhnliche, gebrauchte und durch die Benutzung unbrauchbar gewordene Räder sind das Ausgangs-material für „Radar“, wie Daria Wendland ihre Arbeit nennt.

Wenn man von diesem Ansatzpunkt aus weiterdenkt, wird aus der spielerischen Umwandlung gefundener Formen und Objekte in ein

ästhetisches Gebilde ein weitgreifender gesellschaftlicher Gedanke, der förmlich ausstrahlt – eben wie ein Radar. Auf der Ebene des

Sichtbaren ist die Vorstellung des Ausstrahlens zunächst ganz einfach in der Form des Speichenrads vorhanden. So steht das einzelne

Rad im Zentrum des Gebildes, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Jede Speiche führt vom Zentrum zum Kreis, der von der Felge gebildet wird.

Und um den zentralen Kreis legen sich die beiden Ketten aus weiteren Kreisen, so dass auch die Kreise selbst radial ausstrahlen.

Das geometrische Spiel lässt eine Pyramide aus 6 Rädern um das Zentrum springen, man mag an die rotierenden Felder auf einem Radar-

schirm denken, oder es versetzt einen Strahl aus jeweils 3 Kreisen im Winkel um je 60 Grad, was die Assoziation an einen Peilstrahl ermöglicht.

So wie ein Radar von einem zentralen Ausgangspunkt eine Rotation um 360 Grad macht, rotieren die Radien im Großen wie im Kleinen.

Daria Wendland spielt ironisch mit den Analogien zur komplizierten Hochtechnologie. Denn es sind einfache mechanische Bauteile des

„Low Tech“, die sie verwendet. Hier beginnt der gesellschaftliche Gedanke zu greifen. Auf dem Radarschirm werden Dinge geortet, die

für die menschlichen Sinnesorgane noch nicht erfassbar sind. So kann der Radar auch eine Metapher für gesellschaftliche Vorgänge sein.

Daria Wendland verwendet ihr Material im Sinne der „Cradle to Cradle“ - Idee, die Michael Braungart, Professor für Verfahrenstechnologie

und Verfechter einer ökologischen Wende zur umfassenden Nachhaltigkeit, entwickelt hat. Nach dieser Idee geht ein Werkstoff oder ein

Produkt nicht den Weg von der Wiege (Cradle) zur Bahre, wird also erneut geboren in einem anderen, nützlichen Zusammenhang.

Das kleine technische Wunder eines filigranen und doch so leistungsfähigen Speichenrads erlebt eine Wiedergeburt als ästhetisches

Kunstwerk und Metapher gesellschaftlicher Wahrnehmung.

Rezension der Kunsthistorikerin Dr. Romana Breuer


Sieben ausrangierte Fahrrad-Räder sind an einer Metallstange so angebracht, dass sechs von ihnen exakt um das siebte passen.

Das Ergebnis dieser Assemblage erinnert formal an einen Baum, wie er in vereinfachten Zeichnungen vorkommen könnte, oder aber

an eine stark vergrößerte Blume aus einem Blümchenmuster.

Daria Wendland geht es offensichtlich nicht um das Duchamp`sche Ready-Made (Fahrrad-Rad, 1913), also um die „Setzung“ eines

industriell gefertigten Gegenstands in den Kunstkontext, sondern um die Rückgewinnung eines Wertes für gebrauchte Industriematerialien. Der Baum der Erkenntnis verdeutlicht, dass im Alltag unbrauchbar gewordene Gegenstände in neuem (Kunst)Kontext eine besondere Ästhetik besitzen können. Der rein materielle Wert im Sinne des Gebrauchs spielt keine Rolle mehr, es geht vielmehr um einen anderen (liebevolleren) Blick auf das Vorhandene. Zudem richtet sich die Bildhauerin an die Emotionalität der Betrachter: Einerseits sind ´Baum`

und ´Blume` positive Assoziationen, andererseits ist das Fahrrad ein demokratischer Gegenstand. Und wer hätte es nicht gerne, wenn

sein getreuer aber ausgedienter Drahtesel ein zweites Leben als Kunstwerk erhielte?

BAUM DER ERKENNTNIS 

Installationen aus Fahrradrädern

Skulpturengarten

Foto links: Schlosspark Köln, 400 x 220 cm

Foto rechts: Botanischer Garten der Uni Ulm, 250 x 220 cm

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KREISLAUF - Installation aus Fahrradrädern - 350 x 350 x 350 cm

RADAR - 450 x 320 cm

Installation in Günzburg

Mai 2013 bis Juni 2014

"Form und Ornament" 500 x 100 cm

 

KONSUMKAPELLE - 250 x 100 x 80 cm


Die Konsumkapelle ist ein leerer Raum ohne Eingang und eine symbolische, unterbewußte, unantastbare, inhaltslose Anbetungsstätte

der dogmatischen Warengesellschaft.

Die Konsumkapelle besteht aus synthetischen Einkaufsbeuteln mit aufgedruckten Prestige-marken, welche ihre banale Form und Farbe durch ständiges Berühren verloren haben

und dennoch - wie heilige Objekte - für alle Menschen (und nicht nur für ihre Gläubigen) prägnant und kennzeichnend sind.

OBSERVATORIUM - 170 x 120 x 80 cm

Raumobjekt mit 100 Fensterfotografien

FENSTERBOOK - 300 x 300 cm

Wandinstallation aus 100 Fotografien